Auschwitz kam nicht aus dem Nichts!

09.10.2022 CJD Droyßig « zur Übersicht

Wir kennen den Ort, aber das Leid kann niemand von uns begreifen

Auschwitz- ein Ort, an dem mindestens 1,1 Millionen Menschen umgebracht wurden. 1,1 Millionen Einzelschicksale. 1,1 Millionen individuelle Geschichten. 1,1 Millionen Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche. Alle hatten ein Leben bevor sie hierherkamen. Hatten Familie, Freunde, Träume, Wünsche und so viel mehr. All dies wurde ihnen an diesem Ort genommen. Die Häftlinge in diesem Lager haben nichts bedeutet. Ihre Leben waren nichts wert. Sie wurden schlimmer behandelt als Tiere. 

All dies wussten wir, als wir uns letztes Schuljahr für diese Gedenkstättenfahrt angemeldet hatten. Trotzdem hat diese Fahrt, haben diese Orte und die Menschen, mit denen wir sprachen, mich und viele andere in einem Maße berührt und erschüttert, welches wir nicht erahnen konnten und worauf uns auch kein Unterricht hätte vorbereiten können. Diese Fahrt und die Eindrücke werden uns alle noch lange begleiten und sicherlich von keinem von uns vergessen werden. 

Untergebracht waren wir im Zentrum für Dialog und Gebet. Dieses war keine fünf Minuten zu Fuß vom Stammlager entfernt. Erst da wurde mir bewusst, wie nah dieses Lager an der Lebensrealität

der damaligen Bewohner von Auschwitz war. Sie müssen immer den Lärm gehört und den Gestank gerochen haben, der von diesem Ort ausging. Des Weiteren beschäftigte mich die Frage, wie es ist, an einem solchem Ort heutzutage zu leben. Ich überlegte, ob es irgendwann leichter wird diesen Ort zu sehen, ohne sofort an das schreckliche Leid denken zu müssen. Am ersten Tag standen eine Stadtführung durch Oświęcim, so heißt Auschwitz heutzutage und die Führung durch das Stammlager auf unserem Programm. Gleich am Eingang zum Lager sahen wir alle das Tor mit der Aufschrift ARBEIT MACHT FREI. Natürlich hatten wir alle dieses Tor schon einmal auf

Fotos gesehen, aber jetzt davor zu stehen, war etwas völlig anderes.

Bisher hatten wir immer nur davon gehört, jetzt standen wir vor dem Eingang zu dem Lager, in dem die Menschen durch Arbeit getötet wurden. Wir blickten auf das Tor, das die Häftlinge so verhöhnte. Gleichzeitig sahen wir aber auch den Protest und die Warnung, das umgedrehte B, welches von einem Häftling extra so angefertigt wurde. Es war ein komisches Gefühl durch das Tor zu gehen, zumal an diesem Tag auch viele andere Menschen die Gedenkstätte besichtigten und so eine sehr besondere Stimmung herrschte. Wir waren nun an einem Ort, an dem so vielen Menschen so unbeschreiblich viel Leid zugefügt wurde. Wir konnten einfach so alles ansehen und in viele Baracken hineingehen. Viele von uns waren bei dem Anblick der Mengen von abgeschnittenen Haaren, der Sammlung von Schuhen, darunter viele Kinderschuhe, der Koffer, Brillen und Prothesen sehr ergriffen. Dieser Anblick war für viele so schlimm, dass er sich tief in unser Gedächtnis eingeprägt hat. Die Führung war an vielen Stellen sehr bewegend, wie beispielsweise auch an der Erschießungsmauer, in den Baracken, in denen Ärzte Experimente an den Häftlingen durchgeführt haben oder in denen die Häftlinge eingesperrt wurden, um andere Strafen zu verbüßen. Trotzdem konnte ich mir diesen Ort nicht als einen Ort vorstellen, der von Überlebenden als die Hölle auf Erden oder gar noch Schlimmeres beschrieben wurde. Wir erfuhren, was wo passierte in dem Lager. Aber niemand, der dort nicht selbst Häftling war, kann verstehen, wie es dort zuging und was es mit einem persönlich gemacht hat. Wir kennen den Ort, aber das Leid kann niemand von uns begreifen. All diese Gedanken konnten wir in den diversen Reflexionsrunden einbringen, so dass wir  nie alleine gelassen wurden mit den Eindrücken und Gefühlen, die uns beschäftigten. Wie wichtig es war, sich auch untereinander über seine Gedanken auszutauschen, wurde mir bewusst, als wir am nächsten Tag das Vernichtungslager in Birkenau besichtigt haben. Schon bevor die Führung begann, ereilte uns der erste erschütternde Anblick. Wir liefen genau auf den Schienen zum Lagereingang, auf denen vor 80 Jahren die Züge ankamen, die hunderttausende Menschen direkt in den Tod fuhren. Wir sahen genau das Tor, was unzählige Häftlinge als letztes von der Außenwelt gesehen haben, bevor sie von den Nazis in die Gaskammer geschickt wurden. 

Wie auch schon im Stammlager, wurde uns auch hier durch persönliche Berichte ehemaliger Häftlinge die Situation beschrieben, aber niemand von uns konnte es wirklich in vollem Umfang erfassen, was hier geschah. Ich fand das Ausmaß der gesamten Anlage zutiefst erschreckend, aber auch auf der Rampe zu stehen, wo über das Leben der Häftlinge innerhalb nur weniger Augenblicke entschieden wurde und die Baracken zu sehen, in denen die Häftlinge leben mussten, war für mich erschütternd. Hier wurde mir schlagartig bewusst, was unsere Geschichtslehrer meinten, wenn sie von der Maschinerie des Tötens in Auschwitz sprachen. Auch wenn mittlerweile alles schon von unzähligen Menschen besichtigt wurde, empfand ich hier eine ganz eigene Stimmung. Dieses Lager mahnt bis heute durch seine bloße Existenz, alle die es besuchen, so etwas nicht nochmal geschehen zu lassen. Dies war auch das Thema der Workshops am Nachmittag. In unserer kleinen Gruppe sollten wir herausfinden, was die Botschaft der Überlebenden von Auschwitz an uns ist. Ein Satz ist mir dabei im Gedächtnis geblieben. Auschwitz kam nicht aus dem Nichts. Der Hass begann mit kleinen Sachen und endete in Auschwitz. Die Botschaft, die ein Überlebender an uns richtete war, dass wir nichts für die Geschichte können, aber dass wir auf keinen Fall zulassen dürfen, dass sie sich wiederholt. Wir haben die Verantwortung für die Zukunft. All das Erlebte des Tages wurde abends in kleinen, jeweils von einem Lehrer geleiteten Reflexionsrunden verarbeitet und versucht in Worte zu fassen. Anschließend gab es eine kurze Andacht, bei der wir unsere vielen Gedanken ordnen und in uns gehen konnten. Der nächste Vormittag war für mich besonders emotional, da wir ein Gespräch mit einer Zeitzeugin hatten. Als Frau Maksimowitsch von ihrer Zeit als kleines Kind im Lager erzählte und wie sie ein Versuchsobjekt vom Lagerarzt Mengele war, war ich sehr berührt. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie ein Mensch kleinen Kindern so etwas grauenhaftes antun konnte. Ich stellte mir die Frage, wie stark diese Frau, die da vor uns sitzt, sein muss, dass sie so etwas Schreckliches überleben und uns, einer Gruppe aus Deutschland, von ihrer Zeit im Lager erzählen konnte. Ich bewundere Frau Maksimowitsch für ihre Stärke und für ihren Mut. Und auch, wenn die Lagerbesichtigungen zutiefst bewegend waren, war doch dieses Gespräch für mich der emotionale Höhepunkt.  Die Lager werden bleiben, aber die Überlebenden, die uns darüber berichten können, werden immer weniger. Den restlichen Tag verbrachten wir weiterhin in Krakau. Nach einer Stadtführung hatten wir den Abend dort zur freien Verfügung. Auch, wenn die Erlebnisse mich sehr beschäftigten und dies noch immer tun, war dieser Abend doch eine Zeit, in der wir wenig drüber nachgedacht haben, was wir gesehen hatten - nicht aus Desinteresse, sondern weil jeder von uns eine Pause gebraucht hat, nach einer so intensiven Zeit.

Am Abfahrtstag besuchten wir früh das Kloster Harmeze, welches eine erschreckende Ausstellung von Bildern beherbergte. Ein Überlebender erschuf all diese Werke gegen Ende seines Lebens und hat, nachdem er

viele Jahre geschwiegen hatte, auf diese Weise seine grauenvollen Erlebnisse in Auschwitz verarbeitet. Diese Besichtigung war ein sehr intensiver Abschluss dieser Gedenkstättenfahrt. 

 

Nach dieser Fahrt wurde ich gefragt, was ich aus dieser Zeit mitnehme und was für mich bleibt. Für mich ist es die Erkenntnis, dass so etwas Ähnliches wie in Auschwitz immer wieder passieren kann und auch leider in der Welt gerade passiert. Man muss schon früh damit beginnen gegen Ausgrenzung und Diskriminierung von Minderheiten vorzugehen und diese nicht stillschweigend hinzunehmen. Ich nehme viele bedrückende Eindrücke mit, aber vor allem einen Auftrag. Wir können nichts für die Geschehnisse von damals, aber wir müssen alles dafür geben, dass so etwas nie wieder irgendwo passiert. 

Miriam Roßdeutscher, 12b